Dreck, Kälte und schmale Reifen – Radquer ist eine der ältesten und zugleich anspruchsvollsten Radsportarten überhaupt. Obwohl in der Zentralschweiz kaum noch Rennen ausgetragen werden, gibt es in der Region vielversprechende Nachwuchstalente. Dies bestätigten auch die kürzlich stattgefundenen Schweizermeisterschaften. Diese Erfolge sind nicht zuletzt auf ein gezieltes Training zurückzuführen.
Gut drei Wochen ist es her, seit Tom Stirnimann und Rebekka Estermann an den Schweizermeisterschaften im Radquer im züricherischen Mettmenstetten aufs Podest fuhren. Stirnimann sicherte sich die Bronzemedaille bei den U17 Herren, Estermann holte bei den Elite Damen bereits zum zweiten Mal in Folge die Silbermedaille. Beide Vereinsmitglieder setzen ihren Fokus zwar auf Cross Country Mountainbike, dennoch lieben sie den winterlichen Umstieg aufs ungefederte Querfeldeinrad. Die vielen Richtungswechsel, Hürden und Laufpassagen machen Radquerrennen mit einer Rundenlänge von zwei bis vier Kilometern intensiv und man ist während der kurzen Renndauer (30-60 Minuten) ständig am Limit oder wie Stirnimann sagt: «Man kann bergab nicht kurz die Beine hängen lassen oder auf der Zielgeraden schauen, wo die anderen sind». Hinzu kommen unterschiedlichste Verhältnisse. Während die ersten Rennen Ende September noch heiss und staubtrocken sein können, kann es im Spätherbst und im Winter nass und schlammig oder verschneit und eisig sein.
Gezieltes Training
Im Radquer erfolgreich zu sein, ist somit nicht selbstverständlich. Es braucht sehr viel Wille und gezielte Trainingsstunden. Sowohl Stirnimann als auch Estermann trainieren pro Woche 12 Stunden und mehr. Gerade durch die unterschiedlichsten Rennbedingungen im Radquer ist viel Techniktraining ein Muss. Hierbei werden die beiden Talente von Sepp Kurmann unterstützt. Der 59-Jährige engagiert sich bereits seit Jahrzehnten im Nachwuchsbereich des Veloclubs und ist Inhaber des Fahrradfachgeschäfts Velo 3000 in Sursee. Durch seine Erfahrung als Trainer und die Tatsache, dass er selbst viele Rennen bestritt, kann er die jungen Athletinnen und Athleten gezielt weiterbringen. «Bei seinen wöchentlichen Trainings schafft er es, uns immer wieder auf eine neue Art und Weise zu fordern, sei dies technisch oder physisch», meint Estermann. Stirnimann ergänzt: «Es werden konkrete Details oder Techniken wiederholend geübt und wir lernen in verschiedenen Situationen ans Limit zu gehen.»
Je nach Trainingseinheit trainieren drei bis sechs Fahrerinnen und Fahrer miteinander. Gemäss Kurmann ist dies sinnvoll, denn: «Nicht alle sind überall auf dem exakt gleichen Niveau. Dadurch können sich die Trainingsteilnehmenden gegenseitig unterstützten und so auch voneinander lernen.»
Dass dies offensichtlich funktioniert, beweisen nicht bloss die Silber- und Bronzemedaillen. Anja Grossmann aus Rickenbach, welche für den Racing Club Gränichen fährt, trainierte ebenfalls regelmässig mit der Trainingsgruppe. Sie wurde in Mettmenstetten sogar Schweizermeisterin bei den U17 Damen.
Passende Trainingsflächen
Damit die Trainingseinheiten überhaupt erfolgreich sein können, braucht es einiges an Vorbereitung. Als erstes müssen passende Flächen gefunden werden, welche möglichst realen Bedingungen entsprechen. Die Bezeichnung Querfeldein kommt nicht von ungefähr, die Rennen werden grösstenteils auf Wiesland durchgeführt. Um die typischen, schnellen Richtungswechsel von Radquerrennen trainieren zu können, benötigt es Landbesitzer*innen, welche ihre Flächen zu Verfügung stellen. Obwohl die meisten Wiesen im Winter brach liegen, ist eine Benutzung zu Trainingszwecken keine Selbstverständlichkeit. Hier darf Sepp Kurmann aber auf jahrelange Unterstützung der Familien Willi, Rölli und Broch zählen, welche dem Trainingsteam geeignete Flächen bei der Haselwarte Sursee zur Verfügung stellen. Kurmann und die Fahrerinnen und Fahrer schätzen diese Möglichkeit sehr.
Mit abgebrochenen Ästen wird ein Parcours auf möglichst vielen unterschiedlichen Bodenbedingungen abgesteckt oder es werden mobile Hürden platziert. Im Gegensatz zu Mountainbiketrails wird hierbei nichts fest verbaut. Auf dem entstandenen Parcours kann dann während der Radquersaison gezielt trainiert werden.
Ist die Saison zu Ende, wird der temporäre Parcours wieder abgeräumt und die benutzten Flächen werden in den Ursprungszustand zurückversetzt.
Hoch gesteckte Ziele
Mit den Schweizermeisterschaften im Januar und international den Weltmeisterschaften, welche am vergangenen Wochenende in Hoogerheide (NED) begleitet von zehntausenden von Zuschauern stattfanden, findet die Radquersaison ihren Abschluss. Für die kommende Radquersaison 2023/2024 sind die Ziele von Stirnimann und Estermann bereits gesetzt. Stirnimann wird ab der kommenden Saison bei den U19 Herren starten und möchte an seine diesjährige Radquersaison anknüpfen. Er möchte so viele UCI Punkte wie möglich sammeln, mit dem Ziel, einmal an einem Weltcup-Rennen vor grossem Publikum zu starten. Für Estermann ist die Weltcup-Premiere vor zwei Wochen aufgrund eines Sturzes im letzten Moment geplatzt. Entsprechend steht das Weltcupdebut zuoberst auf der Radquerliste der 23-Jährigen. Natürlich ist auch der Schweizermeistertitel ein begehrtes Ziel, nach dem sie in diesem Jahr diesen nur um Sekunden verpasst hatte.
Wenn alles nach Plan läuft, werden die beiden auch in den kommenden Jahren von Sepp Kurmann betreut. Schliesslich ist es ein Privileg, direkt vor der Haustüre diese Trainingsmöglichkeit zu haben und nicht zuerst ins Auto steigen zu müssen, um in Velodrome oder einen Bikepark zu fahren.
Bericht: Chris Roos